Briefe an Freunde, Tutujas (Norbert Schott)

Zwölf Tonnen Eisen auf 50 Zentimeter Eis

17. Dezember 2012

Gestern nachmittag wollte ich zu Fuß den Fluss, welcher uns von der Außenwelt trennt, überqueren. Dabei wollte ich einige Meter sparen und habe den schmaleren Trampelpfad genutzt - nach mehreren Nächten mit minus 40 Grad sollte das Eis nun wirklich tragen. Sollte. In der Mitte des Flusses war alles prima, aber im Uferbereich stand ich plötzlich knietief im Wasser. Aber erstaunlicher Weise friert man auch in durchgeweichten Filzstiefeln nicht so schnell. Für den Rückweg habe ich dann gelernt und den breiteren Trampelpfad genutzt.

Heute sollte eine Straße über diesen Fluss eröffnet werden. Das Eis ist an jener Stelle 50 Zentimeter dick und nur die Zufahrt zur Überquerung muss noch vom Schnee befreit werden. Für solche Zwecke hat die sowjetische Schwerindustrie einst Geräte wie den "Kirowez" erfunden - ein zwölf Tonnen schwerer allradgetriebener Traktor. Zwölf Tonnen und 50 Zentimeter - auch das hat in der Flussmitte funktioniert, aber nicht im Uferbereich. Nun steckte ein Kirowez reichlich einen Meter tief im Eis fest.

Ich kenne mich mit sibirischen Flüssen nicht wirklich aus - aber ich hätte vermutet, dass wenige Meter neben einem eingebrochenen Traktor auch ein zweiter einbrechen könnte. Aber gut, man kann es ja versuchen. Es standen nun also zwei Kirowez auf dem Grund des Flusses.

Spätestens jetzt sollte auch ein Traktorfahrer andere Lösungen in Betracht ziehen. Auch ein russischer Traktorfahrer. Und die Lösung sollte nicht sein: "Wenn wir schon zwei Kirowez versenkt haben, probieren wir es mit einem anderen Modell aus." Sollte. Aber im Fluss haben auch drei Traktoren Platz.

Ein vierter Traktor hatte sich schon auf seinen Einsatz als Tauchgerät vorbereitet, bis offensichtlich irgendwer Handlung und mögliche Folgen abwägte - das Gefährt wurde vom Eis geschickt. Vielleicht auch nur, weil das Modell deutlich zu leicht war. Um einzubrechen. Aber auch um mehrere Zwölftonner aus dieser Tiefe herauszuziehen.

Inzwischen ist eine ganze Hilfsmannschaft angerückt. Die drei Traktoren werden über Kanister mit Benzin versorgt, damit sie im Eiswasser vor sich hinblubbern können und wenigstens die Motoren nicht einfrieren.

Mit Einbruch der Dunkelheit war der erste Traktor wieder an Land - nun hatte man auf einer nahegelegenen Insel eine Arbeitsfläche gerodet und von dort aus mit einem Bagger nachgeholfen. Die zwei anderen Traktoren stehen leider quer zur Insel und weiter vom Ufer entfernt. Es wird deutlich schwieriger, sie zu retten. Aber auch sie müssen so schnell wie möglich raus. Je länger sie stehen, desto tiefer frieren sie ein. Schon nach wenigen Stunden war die Eisdecke rund um sie fest geschlossen - immerhin sind auch tagsüber minus 30 Grad. Und wenn man sie im Fluss belässt, wird sie im Frühjahr das aufbrechende Eis zerquetschen und eventuelle Reste etliche Kilometer weiter in den Tiefen des Flusses versenken.

Wir bleiben also weiterhin ohne Straßenanschluss und müssen zu Fuß über den Fluss. Auf dem breiten Trampelpfad!