Sehenswürdigkeiten im Süden des Stadtzentrums

Dieser Stadtrundgang führt entlang des Krasny Prospekt (Красный Проспект) vom Swerdlow-Platz (Площадь Свердлова) zu der Stelle, wo Novosibirsks Geschichte begann. Der Rundgang schließt an den zweiter Teil der Rundgänge an.

Der Krasny Prospekt ist die wichtigste Straße von Novosibirsk überhaupt. Von Anfang an wurde er in seiner heutigen Breite angelegt - 58 Meter. Alle anderen Straßen der Stadt waren vor rund 100 Jahren bedeutend schmaler. Der Stadtrat entschied damals: "Die Stadtstraße soll gerade verlaufen, gepflastert sein, einschließlich der Fußwege und einer Baumreihe eine Breite von bis zu 15 Klaftern haben, ...". Besonders wichtig war jedoch, dass man "keine unschönen Häuser, also auch unverputzten Steinhäuser, entlang des Prospektes bauen" durfte. Der ganze Prospekt war mit sandigen Kopfsteinen gepflastert und am Straßenrand entstanden Kaufmannshäuser.

Ein bis heute erhaltenes Beispiel ist das Gebäude des Kaufmanns Iwan Timofeewitsch Surikow (1). Im ersten Stock dieses Hauses befand sich das Hotel "Nowonikolajewsker Hof" ("Новониколаевское Подворье"). Surikow, ursprünglich ein erfolgreicher Geschäftsmann in Barnaul, bekleidete in Nowonikolajewsk die Posten des Stadtältesten und Kaufmannsältesten. Er war auch Mitglied des Stadtrates. Außer dem Hotel befanden sich im Gebäude der Laden und das Lager der Firma "Surikow und Söhne", ein Konfektionsgeschäft und Zimmer des Hotels "Europa".
Nach der Revolution im April 1918 zogen der Gewerkschaftsverband und der Ausschuss der Arbeiter- und Bauernpartei in das Haus ein. Später befand sich hier die Druckerei des Volkwirtschaftsrates № 2, in der seit dem 23. Juni 1921 die Zeitung "Sowjetisches Sibirien" ("Советская Сибирь") gedruckt wurde. Noch heute befindet sich im Haus von Surikow das polygraphische Kombinat. 

Gegenüber steht das Kaufmannshaus von Fjodor Danilowitsch Maschtakow (2). Es wurde vermutlich im Jahre 1903 erbaut. Maschtakow verdiente sein Geld mit Textilhandel in der Gegend. Neben seinem Laden im Dorf Berdskoje eröffnete er Anfang des 20. Jahrhunderts auch ein Geschäft im Dorf Nowonikolaewskoje, dem heutigen Nowosibirsk. Im Erdgeschoss seines Hauses gab es einige Läden, beispielsweise "Modische Manufakturwaren für Damen" und "Tee". Im ersten Stock wohnte er selbst mit seiner Familie.

Ein typisches Beispiel für die sibirische Architektur des 20. Jahrhunderts ist das Kunstmuseum (3) aus dem Jahre 1925. Der rationalistische Jugendstils mit neoklassischen Zügen lassen es sehr gewaltig wirken. Mit der Skulptur in der Fassade wollte der Architekt Andrej Dmitriewitsch Krjatschkow die Ideologie der Zeit einfließen lassen und die öffentlich-politische Verwendung des Gebäudes betonen. Denn anfangs war hier der Sitz des sibirischen Revolutionsausschusses, erst seit 1982 beherbergt das Gebäude das Nowosibirsker Kunstmuseum.
Die Wurzeln des Museums reichen jedoch bis ins Jahre 1958 zurück. Es ist das größte Museum Sibiriens, als besonders kostbar gilt die ständig gezeigten Sammlung von 60 Bildern Nikolai Rerichs. Ferner werden auch Werke moderner sibirischer Künstler und ausländische Werke gezeigt. 

Das Gebäude der ehemaligen Realschule (4) wurde im Jahre 1912 nach dem Entwurf des Architekten Krjatschkow gebaut. Es beherbergte die größte Bildungseinrichtung von Nowonikolaewsk vor der Revolution - die Realschule, welche Jungen für die Aufnahme an technischen Hochschulen ausbildete. Im alten Schulhaus - einem einstöckigen Ziegelhaus 1½ Kilometer nördlich - fehlten chemische, physikalische und andere Labore sowie eine Turnhalle. Das neue Gebäude beeindruckte in der damaligen Zeit mit seiner Größe - viel Luft und Licht. 
In der Ecke des Gebäudes befand sich die Aula der Schule, daran grenzte ein langes einstöckiges Trakt mir acht Klassenzimmern. Die Hauptfassade schloss mit der Kirche der Schule ab. Im Flügel in der Seitenstraße befanden sich die Bibliothek, das Lehrerzimmer, ein Arztzimmer, die Turnhalle, Duschräume, ein Speisesaal sowie Klassenzimmer für die Naturwissenschaften, Geschichte und Zeichnen. Krönender Abschluss war ein Turm mit einem Observatorium in der Kuppel. Der Hof der Schule diente den Schülern als Spiel- und Sportplatz. Heute sieht das Gebäude anders aus - durch Anbauten in den 1920er Jahren hat sich sein Aussehen stark verändert. Heute befindet sich im Gebäude ein Krankenhaus für Kinder.

Das Gebäude schräg gegenüber beherbergt die Gebietsverwaltung (5) (Областная Администрация), der ehemalige Gebietsvollzugsausschuss (Областный исполнительный комитет). Das Gebäude - eines der bedeutendsten Bauwerke der Stadt - wurde von Krjatschkow im Stil des Konstruktivismus in vergleichbar kurzer Zeit (1931-1933) errichtet. Der Bau hatte 400 Räume, denn man rechnete mit 2000 Mitarbeitern. Ein Aufgang war nur für Wohnungen bestimmt. Als erstes Haus in Novosibirsk erhielt es Fahrstühle. Eine weitere Besonderheit ist die 15 Meter lange Balkonstribüne über dem Eingang. 

Direkt hinter der Gebietsverwaltung befand sich von 1990 bis 2008 die Philharmonie (6)der Stadt. Das Gebäude, ein moderner Bau aus dem Jahre 1967, diente zuvor als Haus der politischen Bildung (Дом Политпросвещения). 2008 wurde den Einwohnern wurde eine Renovierung der Philharmonie versprochen. Im Moment klafft jedoch eine große Baulücke, da vorerst nur das alte Gebäude abgerissen wurde. 

In den Jahren 1932 bis 1937 wurde nach dem Entwurf von Krjatschkow unter Beteiligung vom Architekten W. Masljannikow das 100-Wohnungen-Haus (7) errichtet. Bei seiner Ausgestaltung orientierte sich der Architekt an einem Bau des französischen Künstlers Auguste Pierre (Haus in der Renoir-Straße in Paris). Für dieses Bauwerk erhielt Krjatschkow auf der Weltausstellung in Paris 1937 den Grand Prix.
Das 100-Wohnungen-Haus galt jahrelang als das elitärste Gebäude der Stadt. Die Hauptfassade des U-förmige siebenstöckigen Gebäudes ist zum Krasny Prospekt hin ausgerichtet, steht aber in einiger Entfernung der Straße - aus Gründen des Lärmschutzes. Durch seine Größe und die Grünanlagen davor erinnert das Haus an ein Schloss. Bemerkenswert ist, dass Bewohnern zufolge in diesem Gebäude die Fahrstühle aus dem 1930er Jahre erhalten geblieben sind. 
In der Grünanlage vor dem Haus steht übrigens seit 2008 ein Denkmal für Krjatschkow. 

Früher befand sich an der Stelle des 100-Wohnungen-Hauses eine Feuerwache. Bereits seit 1896 hatte die Siedlung, die hauptsächlich aus Holzhäusern bestand, eine freiwillige Feuerwehr mit zwei Feuerpumpen. Im Juni 1897 wurde eine "Freiwillige Feuergesellschaft" gegründet, die vom Altajer Gebiet 400 Rubel als eine jährliche Subvention bekam. Im Juli jenes Jahres wurde der erste Löschzug eingeweiht. Die erste Feuerwache wurde im Jahre 1905 errichtet. Das Gebäude zierte das Motto der Feuergesellschaft: "Einer für alle, alle für Einen!". Der Aufseher hatte von der Wache aus den Überblick auf die Stadtmitte (Центральный район) und die benachbarte Vorstadt (Закаменский район). In dem einstöckigen Anbau befand sich ab 1906 auch das zentrale Fernsprechamt.
Beim Brand wurde die Feuerwache 1909 vernichtet, bis 1910 entstand eine neue, höhere, welche noch bis zum Bau des 100-Wohnungen-Hauses 1937 existierte. 

Einige Meter weiter, gegenüber, befindet sich das älteste Gebäude aus Stein in Novosibirsk - die Alexander-Newski-Kathedrale (8). Um die Kirche ranken sich etliche Legenden, zum Beispiel folgende:. Zur Zeit des Baus der Kathedrale war es ein Brauch, sie auf einem geweihten Stein zu errichten. Der Legende zufolge wurde extra ein schwerer Stein aus dem benachbarten Städtchen Kolywan (Колывань) gebracht. Da ein besonders schwerer Stein ausgewählt wurde, brauchte man eine Pferdekutsche zum Transport, welche jedoch kurz vor dem Ziel auseinanderbrach. Der Stein fiel zu Boden und niemand konnte ihn anheben – dem Brauch zufolge hätte man die Kirche nun an dieser Stelle bauen müssen. Aber die Leute gehorchten dem Willen Gottes nicht, und bauten die Alexander-Newski-Kathedrale dort, wo sie geplant war. Deswegen war die Kathedrale fortan vom Unglück verfolgt. 
Nach der Revolution wurde die Kirche enteignet, die Kathedrale per Erlass 1938 dem Gebietsvollzugsausschuss überlassen und als Lager der Gesellschaft "Sojusunivermag (Союсунивермаг)" genutzt. Dann nutzen ein Projektierungsinstitut und Truppenteile das Gebäude. 1957 wurde es dem Westsibirischen Filmstudio der Wochenschau übergeben. 1984 unterstand das Gebäude der Kulturverwaltung des Gebietsvollzugsausschusses von Nowosibirsk. Erst 1989 wurde die Kathedrale der Nowosibirsker Eparchie zurückgegeben. 
Und der Stein? Seine Spitze kann man noch heute sehen, hinter dem Zaun des Kinderspitals! 

Folgt man dem Krasny Prospekt weiter nach Süden, kreuzt man zuerst die Eisenbahnlinien Richtung Barnaul im Süden und die Kohlereviere im Kusbas Richtung Südosten. Diese Stichstrecken der Transsibirischen Eisenbahn wurden 1913 bzw. in den 1930er Jahren eröffnet.
Direkt hinter der Eisenbahn wird gerade ein neuer Busbahnhof (9) errichtet, jedoch zieht sich der Bau auch schon einige Jahre hin. Wer jedoch in die umliegenden Städte oder auch nach Kolywan fahren möchte, findet die Busse hinter der Baustelle.

Noch etwas weiter in Süden, am Beginn des Krasny Prospekt wird gerade eine zweietagige Straßenkreuzung errichtet. Unterhalb der Baustelle findet man jedoch einen bedeutenden Ort der Nowosibirsker Geschichte: den "Anfang der Stadt" (10) (Городское начало).
Vor 120 Jahren befand sich dort, wo heute Nowosibirsk liegt, ein dichter Wald, nur hier, an der Mündung des Flusses Kamenka (Каменка), befand sich ein kleines Dorf, Gusjewka (Гусевка). Die nächste Stadt war Kolywan, etwa 50 Kilometer nördlich. Heute ist Kolywan ein kleines verträumtes Städtchen mit einem Kloster und vielen hübschen Holzhäusern. Am Ende des 19. Jahrhunderts war es jedoch ein großes Handels- und Industriezentrum. Deswegen sollte die Transsibirische Eisenbahn auch hier den Ob kreuzen.

Der Leiter der Forschungsexpedition, Nikolai Georgiewitsch Garin-Michailowski, bestand jedoch darauf, dass die Brücke weiter im Süden gebaut werden sollte, wo das Flussbett enger und das Ufer steinig war. Im Jahre 1895 wurden Grundsteine für die Brücke gelegt, Arbeiter und Umsiedler zogen in die Nähe. Die Siedlung Gusjewka wurde zuerst in Alexandrowski und später in Nikolajewski umbenannt. Im Jahre 1903 bekam die Siedlung den Stadtstatus und hieß fortan Nowonikolajewsk, erst nach der Revolution wurde daraus Nowosibirsk.

Ein Element der alten Brücke kann man noch heute im Park am Fluss bewundern. Die Stahlträger überspannten noch bis in die 1990er Jahre den Ob und wurden erst dann durch einen Neubau ersetzt. Die alte Brücke hatte eine für ihre Zeit revolutionäre Konstruktionsweise - einer Legende zufolge stellten sich alle Bauarbeiter bei der Eröffnung auf den zugefrorenen Ob unter der Brücke. 

Läuft man im Park etwas weiter, kommt man zur ersten Nowosibirsker Straßenbrücke, welche von 1952 bis 1955 über den Fluss erbaut wurde. Früher fuhren auf ihr auch Straßenbahnen, welche einer weiteren Legende frühmorgens eine Stunde warten mussten, bevor sie die Brücke überqueren konnten - der Strom wurde erst um 6 Uhr eingeschaltet, aber die beiden Stadtteile lagen mehrere Jahrzehnte in verschiedenen Zeitzonen.

Die Straßenbrücke war jahrzehntelang ein Wahrzeichen der Stadt, ihre Wirkung wurde aber in den 1980er Jahren durch den Bau der benachbarten Metro-Brücke zerstört. Die Metro fährt seit 1986 im Untergrund der Stadt. Zwei Linien verbinden die wichtigsten Stadtteile. Die Umsetzung der ursprünglich geplanten fünf Linien ist jedoch in den nächsten Jahrzehnten nicht zu erwarten, im Moment wird nur alle fünf Jahre eine neue Station fertig.

Diese Stadtführung wurde mit freundlicher Unterstützung von ProfilDeutsch und ЭТО gestaltet. Für eine Tour mit persönlicher deutschsprachiger Führung wenden Sie sich bitte an Elena Stern, +7-913-946 23 03.