Briefe an Freunde, Tutujas (Norbert Schott)

Gastarbeiter in der Taiga

02. Dezember 2012

Selbst in unserem kleinen aussterbenden sibirischen Dorf gibt es Gastarbeiter - usbekische. Sie kümmern sich, wie überall in der Welt, um Dinge, für die Einheimische lieber Geld geben, als sie selbst zu machen. In Sibirien ist das beispielsweise Schnee schippen. Also räumt Daston, einer der beiden Usbeken, jeden Tag den frischen Schnee in der Einfahrt eines Russen weg - obwohl der Hausherr gar nicht da ist. Vier Wochen lang Schnee schippen - für niemanden.

Diese Woche hat Daston aber an jenem Haus Schnee geschippt, wo er selbst zur Miete wohnt. Nicht, weil er endlich mal irgendwo Schnee räumen wollte, wo es Sinn macht - sondern weil ihm offensichtlich kalt war. Nach einer Nacht mit -32 Grad schaufelte Daston sein Haus bis knapp über die Fensterbretter mit Schnee zu - Wärmedämmung. Klingt abstrus, ist es aber nicht - ich habe dies schon vor drei Wochen gemacht. Gerade bei Häusern, die zum Schutz vor dem Sumpfboden auf Stelzen stehen, ist dies die einfachste Variante zum Abdichten des Fußbodens. Alternativ kann man auch mit Erde die Lücke zwischen Boden und Hauswand verschließen - aber dann muss man im Frühjahr wieder zur Schaufel greifen, denn die Erde taut nicht von allein weg.

Inzwischen haben wir auch wieder einen Anschluss an die Außenwelt. Die Straße zum Fluss wird ab und zu von einem Raupenfahrzeug des ehemaligen Sägewerks geräumt - mit schiefem Dach und schief lächelndem Fahrer. Zugegeben sind wir die einzigen, die sich mit einem gewöhnlichen Pkw aus dem Dorf herauswagen - alle anderen haben geländefähige Kleinbusse sowjetischer Produktion. Wo diese noch durchkommen, muss ich schon zu Schaufel greifen und das Auto freischaufeln - ohne usbekische Helfer keine erstrebenswerte Erfahrung.

Der Fluss ist noch an vielen Stellen offen, aber hier und da gibt es auch Bereiche, wo nur noch am Ufer ein dünner Streifen von 2 Meter Wasser zu sehen ist. Und da es kein deutsches Warnschild gibt, "Betreten der Eisfläche verboten", hat irgendwer ein Brett über die letzte Lücke gelegt und nun wird der Fluss schon seit zwei Wochen zu Fuß, mit Schneemobilen oder Quads überquert.

Unter den ersten Fremden des Winters waren wiederum zwei Gastarbeiter - mit breitem aserbaidschanischem Akzent fragten sie mich, wo man im Dorf selbstgebrannten Wodka bekäme - sie wären extra deswegen gekommen. Ich war ganz erstaunt, dass es so etwas hier gibt. Offensichtlich bin ich deutscher Gastarbeiter viel zu naiv. Xenia wusste sofort, zu welchem Haus ich die zwei hätte schicken müssen.

Prost! Auf den Winter!