Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Weihnachtsgrüße und russische Sprache

26. Dezember 2008

Mein fünftes Jahr in Novosibirsk neigt sich dem Ende zu. Insgesamt bin ich nun schon sechs Jahre in Russland - eine Zahl die mich immer mehr wundert. Wenn ich mir meine eigenen Mails und Eure Antworten so anschaue, dann frage ich mich oft, wozu wir noch immer freiwillig in diesem Land leben. Aber die Gegend und die Leute wachsen einem einfach ans Herz, auch wenn ich das vor lauter Bürokratie zu selten erwähne.

WeihnachtsgrußVor der Tür liegt kniehoch Schnee - in einer Millionenstadt. Weiße Weihnachten sind quasi immer garantiert. Alle zwei Wochen fällt neuer Schnee und dazwischen sorgen angenehme minus 15 Grad dafür, dass nichts wegschmilzt. Ab und zu sind mal unangenehme minus 20 oder 30 Grad - aber dann hat man wenigstens etwas zu erzählen. Und kann sich freuen, wenn der Bus trotzdem kommt - viel spannender als in Deutschland, wo das bei plus 5 Grad und Regen so ziemlich selbstverständlich ist.

Auch im sechsten Jahr bleibt mir die russische Sprache ein Rätsel. Man mag meinen die kyrillischen Buchstaben wären schwer oder die sechs Fälle. Alles Kleinigkeiten, die russische Sprache halt viel bessere Gemeinheiten. Beispielsweise werden Worte je nach Fall unterschiedlich betont (so in etwa: "das Wásser", aber "des Wassérs") - eine Regel gibt es dafür natürlich nicht.

Ferner ist das D nicht weich und das T hart, sondern D ist stimmhaft und T stimmlos - beides gibt es jedoch hart und weich. Ferner gibt es nicht nur T und D, P und B sowie G und K, wie im Deutschen, sondern auch zwei S. Auch L, R und N haben quasi zwei Formen - je nach dem Buchstaben, der folgt. So klingen "Kohle" und "Ecke" für einen Deutschen im Russischen vollkommen identisch - für einen Russen jedoch komplett unterschiedlich. Schuld ist das Weichheitszeichen am Wortende - ein extra Buchstabe, damit es Deutschen hier nie langweilig wird.

Spannend ist auch, dass alle Verben doppelt existieren - je nachdem ob die Handlung vollendet oder unvollendet ist. Netter Weise haben natürlich Russen eine andere Ansicht, was vollendet und was unvollendet ist - was sich nicht nur im allgemeinen Leben sondern auch in der Sprache wiederspiegelt. Will man sagen: "Es ist nicht möglich in das Zimmer gehen, dort schläft unser Chef.", dann muss man für "gehen" das unvollendete Verb nutzen. Bei "Es ist nicht möglich in das Zimmer zu gehen, es ist zugeschlossen" muss man hingegen das vollendete Verb nutzen. Ich versuche hier seit langem einen Zusammenhang zwischen Sprache und russischer Realität zu konstruieren, aber habe noch keine passende These gefunden.

Schön ist, dass man im Russischen viele praktische Wörter hat. Beispielsweise ein Wort für "24 Stunden". Oder für das Gegenteil von "verlieben". Auch kann man von jeder beliebigen Tätigkeit genug haben, und durch eine kleine Vorsilbe am Verb beispielsweise sagen: "Ich habe mich satt gespielt." Und es klingt überhaupt nicht eigenartig! Ferner brauchen die Russen weder das Verb "sein" noch jegliche Artikel. "Ich bin ein Student" ist im Russischen also einfach "Ich - Student".
Ich habe bestimmt noch andere spannende Aspekte der russischen Sprache vergessen - übrigens gibt es das Wort "spannend" im Russischen nicht (!) -, aber ich höre an dieser Stelle auf, damit mein Weihnachtsgruß im Anhang noch pünktlich ankommt.