Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Endlich wieder Fahrstuhlgeschichten

12. August 2004

Nun bin ich also wieder in Russland ... inzwischen mit dem dritten Aufgabenfeld. Ich bin nun "Assistent" für ein Ingenieurbüro in Novosibirsk. Wir liefern die Automatisierung europäischer Walzstrassen für China, meine Aufgabe ist die technische Koordination zwischen Peking und Novosibirsk. Wenn sich nichts Grundlegendes ändert, werde ich also für die nächsten zwei Jahre in Sibirien sein. 

Sie Statusänderung vom Studenten zur Arbeitskraft brachte natürlich wieder neue Erfahrungen mit russischer Bürokratie. Als arbeitender Mensch benötigt man ein kommerzielles Einjahresvisum für die mehrfache Einreise. Für dieses muss durch das Unternehmen im Innenministerium eine Einladung bestellt werden, das kann zwei Monate dauern. Die Einladung muss per nach Deutschland geschickt werden, dazu kommt ein gültiger Aidstest, dann kann man ein Visum beantragen. In Russland rennt man dann wieder in ein Amt und lässt sich registrieren - mit notariell beglaubigtem Mietvertrag und so weiter. Alles zusammen dauert drei Monate.

Ja, oder man bezahlt einfach ein paar hundert Euro: Überweisungsbeleg plus Pass an ein Bonner Reisebüro schicken, zehn Tage warten, fertig. Für die Registrierung geht man in Novosibirsk in ein bestimmtes Hotel und "übernachtet" pro forma eine Nacht. In der Registrierung steht natürlich später, dass man ein Jahr übernachtet hat. Fertig, vollkommen legal und wasserdicht.

Und wie schon im Moskauer Wohnheim, bereiten mir auch Novosibirsker Lifte größte Freude! 

Beispielsweise zuhause. Will man früh bei uns in der fünften Etage einsteigen, muss man sich sehr beeilen. die Tür ist ganze zehn Sekunden auf. Dann will sie zugehen. Problem eins: das ist unumgänglich. Bevor die Tür nicht ganz zu war, geht sie nicht wieder auf! Ein gutes Beispiel: Norbert drin, Rucksack drin, aber Rucksackschnalle draußen. Nichts geht mehr, denn die Tür ist drei Millimeter geöffnet. Dann hilft es nur, die Tür gewaltsam aufzudrücken, schnalle rein oder Rucksack raus und weiter zu Problem zwei: zehn Sekunden sind verdammt wenig! Vor der Tür steht also noch Ksenia, vor deren Nase die Tür zugegangen war. Also Tür wieder auf, Ksenia rein, Tür zu. 

Abends in der ersten Etage ist das Problem ein anderes. Hier bleibt die Tür lang genug auf, im Gegenteil, sie geht nicht zu. Drückt man die Taste für die fünfte Etage, geht die Tür ein wenig zu und gleich wieder auf. Der Lift will quasi prüfen, ob man sich bei seiner Wahl sicher ist. Oder das kleine Kinder nicht spielen. Fakt ist: lässt man die Taste los, bevor die Tür vollständig geschlossen ist, geht es nicht los.

Ich kenne auch einen funktionierenden Lift - in meinem Bürogebäude, elf Etagen! Leider fährt der Lift nur bis zur zehnten. Ich arbeite natürlich in der elften. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls gibt es für acht Etagen - in der zweiten wird auch nicht gehalten - nur einen Lift. Ein weiterer ist seit drei Monaten "vorübergehend außer Betrieb". Der funktionierende Fahrstuhl ist sehr modern, fährt auch meistens ohne zu murren in die gewünschte Etage - außer zwei und elf - und bemerkt sogar, wenn mehr als die erlaubten zwölf Leute einsteigen. Zu erwähnen ist jedoch, dass Platz zwölf reserviert ist - für die Frau mit der blauen Mütze. Sie drückt die Tasten. Und auf jeder Etage liest sie für alle die Nummer vom Display laut vor. Ironie der Geschichte: ihre Arbeitszeit ist beschränkt - strikt auf die Stoßzeiten, wenn der zwölfte Platz dringend benötigt wird.

Letzte Woche habe ich Russland bei der Tagesschau entdeckt: Russland hat die Bierwerbung stark eingeschränkt. Nur noch nach 22 Uhr darf geworben werden, und auch dann nicht mehr mit lachenden, genießenden Menschen. So richtige Gründe gibt es keine, nur Schirinowksi weiß warum: "Bier ist ein abscheuliches Getränk. Es ist ungesund und macht dick. Schauen Sie nur, wie hässlich die Tschechen und die Deutschen sind." Jedenfalls wissen sich die Bierbrauer zu helfen. Vorgestern lief in einer Kneipe Bierwerbung im Fernseher. Fröhlich lachend tranken dort eine Zwiebel, eine Computertaste und noch eine wilde Kreatur gemeinsam lachend und genießend Bier. Es gibt halt immer einen Weg ...