Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Die eigene Wohnung

29. Dezember 2006

Kuenftige KuecheAls Neujahrsgeschenk noch die angekündigte Rundmail zu unserer neuen Wohnung. 

Als Ksenias Eltern Anfang 2005 erfuhren, dass wir heiraten möchten, haben sie sich entschlossen, eine Wohnung für uns zu kaufen. Gebaut wird in Novosibirsk an allen Ecken - nach ausgiebigem Studieren der Immobilienzeitschriften Novosibirsk entschieden wir uns für eine Neubauwohnung am Rande des zentralen Stadtbezirks. Das Haus hat 14 Etagen und ist voll geziegelt. Die tragenden Wände sind dementsprechend 70 Zentimeter dick, die Außenwände haben zudem 20 Zentimeter Außenisolierung. 

Eine Wohnung in einem solchen Haus kostete Anfang 2005 je nach Größe 1,2 bis 2,0 Millionen Rubel - 40.000 bis 50.000 Euro. Zu zahlen war in bar und möglichst sofort. Man kann auch nur eine Anzahlung machen. Aber am Tag des Kaufes weiß keiner, wieviel morgen die Ziegel kosten werden. Und der Bauherr darf natürlich Ziegelpreissteigerungen auf die folgenden Raten aufschlagen! Decke im BadBad

Die Wohnungen im 13. und 14. Stock sind am günstigsten, danach steigt der Kaufpreis pro Etage um rund fünf Prozent. Ksenias Eltern haben also im 13. Stock investiert und uns damit eine exzellente Aussicht gesichert. Doch den Rabatt gibt es nicht grundlos - am Tag des Kaufes wurde gerade erst der achte Stock gebaut und niemand wusste, ob die Ziegel bis zur 13. Etage reichen werden. Ferner schafft es der städtische Wasserdruck nur bis zum zehnten Stock - am Tag des Kaufen wusste keiner, ab wann die extra Wasserpumpen funktionieren werden. Und am Tag des Kaufes wusste ebenso keiner, wann der Fahrstuhl funktionieren wird. 

Offizieller Übergabetermin sollte im vierten Quartal 2005 sein. Im November wurde der letzte Ziegel gesetzt ab diesem Moment hieß es fortan, dass die Wohnung "in spätestens drei Wochen" begehbar sein wird. Vorsorglich hat mein Vater, der beim Innenausbau helfen wollte, sein Flugticket für August 2006 gebucht. Reichlich knapp, wie sich herausstellte. Immerhin haben wir drei Tage nach seiner Ankunft den Schlüssel bekommen - nach lautstarken Streitereien, die ich wiederum vorsorglich Mitte Juli begonnen hatte. Grosses Zimmer

Im Kaufpreis sind die Wände (roh verputzt), Fenster, Steckdosen (meist funktionierend), die Hälfte der notwendigen Wasserrohre, gusseißerne Heizkörper (Retro!) und eine wacklige Wohnungstür enthalten. Bevor wir also einziehen konnten, benötigten wir: eine sichere Wohnungstür, 20 Halbzentnersäcke Spachtelmasse für Decken und Wände, 25 Packungen Laminat, 50 Packungen Fließen, zehn große Rollen Tapete, eine Badewanne, Klobecken, zwei Waschbecken, drei Säcke Zement, zehn Säcke Fließenkleber, sieben große Gipskartonplatten, vier dicke Sperrholzplatten, eine Waschmaschine und natürlich unsere Möbel inklusive Inhalt. Für den Fließenkleber brauchte man wiederum Wasser und - siehe oben - den Schalter für Wasserpumpe hat der Bauherr erst Ende Oktober entdeckt. Und nun das Beste: Den Schalter für den Fahrstuhl hat er bis heute noch nicht entdeckt! Die eindrucksvolle Aufzählung von Baumaterialen ergibt knapp drei Tonnen. 

Nicht alle Aufgaben machen wir selbst. Die fehlenden Rohre haben zum Beispiel sibirische Fachkräfte verlegt. Gruselig! OK, juristische Normen muss man nicht befolgen, drei Prozent Gefälle und so. Aber doch bitte physikalische Gesetze - Abwasser fließt nicht bergauf! Die Fachkräfte zweifelten natürlich an der Relevanz dieses physikalischen Gesetzes, wollten dann aber doch nicht ohne Lohn gehen und legten alles neu. BadKleines Zimmer

Inzwischen wohnen wir in der Wohnung, die Fließen liegen, eines der zwei Zimmer ist benutzbar. Das zweite Zimmer wird bald fertig. Die Küche datieren wir auf "drei Wochen nach Fahrstuhlschalter-Fund". In Wahrheit ist der Schalter natürlich schon gefunden, der Monteur fährt nachts manchmal heimlich auf und ab. Aber so lange das Haus offiziell eine Baustelle ist - in Russland gewöhnlich ein Jahr nach Schlüsselübergabe - haftet der Bauherr für alle Schäden. Und da der Bauherr Angst hat, dass die Investoren mit ihrem sperrigen Baumaterial den Lift kaputt machen, bleibt der Lift aus. 

Wir laufen also täglich 250 Stufen und freuen uns über die Aussicht, die doch schon leicht gestört wird. Gegenüber werden gerade zwei Häuser mit 24 Etagen gebaut! Das müssten rund 500 Stufen sein. Hilfe!