Briefe an Freunde, Moskau (Norbert Schott)

Norbert in Haft

23. September 2002

Was man nicht alles bei einem Russlandaufenthalt erlebt! Ich saß für zwei Stunden lachend im Knast! Eher innerlich lachend, denn Lachen war dort verboten, schließlich hat Hitler 1945 den Krieg verloren. O-Ton der Milizen: "Hitler kaputt". Welch geistes Kind die Herren waren, braucht man wohl nicht weiter erläutern. 

Nach etwas erfolgloser Suche nach vernünftiger Musik waren wir Freitagabend in einer richtig schlechten Russischen Disco gelandet. Aber irgendwie passte das auch. Der Eintritt war teuer, und der Russische Pop ist eigentlich jenseits der Schmerzgrenze. Aber wir sind in Russland, da ist schlechter Geschmack Prinzip. Notfalls muss man mit Wodka nachhelfen. Während ich mich vergnügte und Siggi draussen spazieren ging, schauten Jens und Florian doch etwas zu tief ins Glas. 

Der Nachhauseweg wurde dann zum Problem. Florians Schwanken war weniger problematisch - aber plötzlich rannte Jens aus der Straßenbahn und füllte den nahen Papierkorb. Dummerweise begegnete er auf dem Fußweg einem Mann ... Kurz und gut, er hat ihn vollgekotzt - mehr als peinlich. Der Mann ging schimpfend weg, hörte dann aber, wie ich schnell mit Siggi (deutsch) die Aufgabenverteilung besprach - und kam zurück. 

Logisch, für den Mist hatte Jens zu zahlen - und zwar meiner Meinung nach eine ordentlich Summe für die Reinigung der Klamotten. Das sah der Mann anders, er wollte eine horrende Summe Schadensersatz. Ich weigerte mich. Also ab zur Miliz (freiwillig). 

Nach Erklärung des Sachverhaltes wurden wir zwangsweise durchsucht ... Und plötzlich saß Jens in der Zelle. Mich wollte man rauswerfen. Dass Jens jedoch kein Wort deutsch könne und ich auch noch nüchtern wäre, überzeugte die Dummbatzen! 

Irgendwann merkten die Polizisten und der Mann, dass wir das eher spannend als beängstigend fanden. Aktion eins: Norbert wird ebenfalls gewaltsam in die Zelle verfrachtet - ohne Ergebnisse. Aktion zwei: man steckt einen Penner dazu - wir begrüßen ihn. Aktion drei: man ersetzt den Penner durch stinkende Säufer - wiederum ohne Ergebnis. Tja, und irgendwann akzeptierte der gute Mann die 200 Rubel und wir durften gehen. Ganz plötzlich - wir waren gerade am Einschlafen. 

Es war jedenfalls der lustigste Gefängnisaufenthalt, den man sich vorstellen kann, ehrlich! (Zumindest, wenn man die taktischen Gespräche der Polizisten versteht.) Wir haben herzlich gelacht, als wir wieder raus waren! 

Aber auch danach hatten wir noch viel Spaß in Petersburg. Wir sind mit ein paar Russen, die wir über ein Mädel aus dem Zug kennengelernt hatten, fünf Stunden im Auto durch die Stadt gerast. Eigentlich hatten wir ein Ziel. Aber erst war eine Baustelle im Weg. Auch die Wege in der benachbarten Grünanlage führten nicht zum Ziel. Und selbst querfeldein - vorbei an Parkbänken und Teichen - kamen wir nicht durch. Später fanden wir die Umleitung, verfuhren uns aber wieder. Naja, und irgendwann kamen wir an, aber die Feier dort war vorbei. Spannend ist es dennoch mit 70 bis 90 über achtspurige (etwa, keiner kennt die Bedeutung der weißen Linien) Stadtstraßen zu flitzen. Langsame Autos überholt man übrigens rechts. Und ein Stau kann auch auf der Gegenfahrbahn umgangen werden - bis sich irgendwann alle frontal gegenüberstehen. 

Witzig war die Kommunikation zwischen den zwei Autofahrern. In Russland sind die ersten fünf Sekunden eines Handytelefonates kostenlos. Die Konsequenz ist ganz einfach: "Wo bist du?" ... Auflegen ... "Am Stadion" ... Auflegen ... "Ok ich komme hin" ... Auflegen ... 

Wir haben übrigens eine einzige Ausnahme vom irren Straßenverkehr gesehen: in Petersburg war ein Marathon - mitten über den Newski-Prospekt! Da rannten also wirklich ein paar Verrückte auf dem Mittelstreifen einer (etwa) sechspurigen Straße! Und keiner hat sie umgefahren! Im Gegenteil, die Läufer konnten am Ende einfach so unbedacht rüberflitzen! 

Kurz und gut: Petersburg war richtig mächtig lustig! Die Stadt putzt sich gerade raus, nächstes Jahr feiert man den 300 Geburtstag. Es werden alle Parkanlagen in Schuss gebracht - richtig angenehm für Russland. Und die Ermitage ist wirklich Wahnsinn! 

Neues in Moskau?! Naja, meine Zauberlampe geht nicht mehr aus - wenn ich sie anfasse springt sie nicht auf Null sondern auf halb Leuchten. Ich muss jetzt den Stecker kurz ziehen. (Vielleicht sollte ich mal die Kühlschranktür aufmachen?) Die Fahrstühle gehen gerade alle (!!!), nur Nummer eins und fünf knallen auf einigen Etagen verdächtig gegen die Tür.