Briefe an Freunde, Moskau (Norbert Schott)

Kleine Anekdoten

17. März 2003

Schon wieder ist ein Monat in Russland vergangen - Omsk ist seit gestern Abend Geschichte. Nun stecke ich für vier Tage in Ekaterinburg, ich werde mir auch die "Eisenbahnuniversität im Ural" unter verkehrsökologischen Aspekten anschauen. Ich bin zwar hier angekündigt, aber niemand weiss, dass ich dort in einer Stunde im Türrahmen stehen werde. Aber in Russland sollte das kein Problem sein. 

Das Land fasziniert mich natürlich immer noch. Trotz prügelnden Marschrutka-Fahrern ("Verstehst du mich jetzt?"), trotz komischer Verkäuferinnen ("Слушаю?!" - "Höre?!", gemeint ist: "Was kann ich für sie tun?"), kurz: trotz aller Widrigkeiten. 

Es sind die kleinen Momente, die das Land so liebenswert machen. 

Sagt doch letztens die Verkäuferin im Uni-Imbiss zu mir: "Ich habe kein Wechselgeld - gib mir nächstes mal bitte noch 16 Kopeken." Kein Problem, nur irgendwann fiel mir dann auf, dass 16 Kopeken weniger als ein halber Cent sind. Sie hat sie dennoch bekommen. 

In dem kleinen russischen Dorf, in dem ich mich letztens mal einen Tag lang herum getrieben habe, lud mich ein Mann nach Hause ein. Die ganze Familie war da, zwei Söhne, die Frau, die vier Katzen und die Kuh. Es gab lecker Spaghetti, Tee und nebenbei wurden die Fotos gezeigt. Der Mann war in "Keenigsbrik" stationiert, besonders schön findet er noch heute das Foto vor den Springbrunnen auf der Prager Straße in Dresden. Am Ende bat mich die Familie noch um einen Gefallen. Ihr Traktor ist defekt, ein tschechoslowakischer - vielleicht könnte ich mal in Moskau nach dem Ersatzteil schauen? 

Eine ähnliche Einladung bekamen wir vor zwei Monaten in Nikel, kurz über dem Polarkreis bei Murmansk. Dort gab es nur zwei Katzen, dafür vier Töchter. Die Großmutter hatte Pelmeni gekocht. Nach dem Essen gab es dann auch hier die obligatorischen Fotos, nebenbei sang die Großmutter mit uns "Brüderlein komm tanz mit mir". 

Aber auch andere deutsche Lieder kennt man hier, in Novosibirsk spielten mir Freunde auf ihrem Computer mit größter Begeisterung "Max Rabe und sein Palastorchester" vor - die Cover-CD mit liedern von Manu Chao und Britney Spears. Endgültig baff war ich dann, als ich mitbekam, dass in Novosibirsk - und mysteriöser Weise nur dort - Dresdens Kultfilm ebenso beliebt ist: "Schwarze Katze, Weißer Kater". 

Nun kommen zwei spannende Wochen auf mich zu, sicher mit vielen neuen kleinen Anekdoten. Nach Ekaterinburg schaue ich mir noch einen Tag Tjumen an, dann treffe ich mich mit Jens in Novosibirsk. Von dort geht es gemeinsam an den Baikalsee. Dieses mal ans Nordufer. Mal sehen, ob wir es irgendwie über den zugefrorenen See in den Süden schaffen.