Briefe an Freunde, Moskau (Norbert Schott)

Ein bunter Haufen Neuigkeiten

06. Dezember 2002

Ein Deutscher läuft in Moskau die Straße entlang und fällt plötzlich in ein tiefes Loch. Als endlich Hilfe eintrifft beschwert er sich: "Warum haben sie denn kein Schild vor der gefährlichen Stelle aufgestellt." Daraufhin antwortet man ihm: "Als sie hier in Russland angekommen sind, haben sie da nicht das große Schild gesehen: Russische Föderation?!" 

Vergangene Woche waren wir beim KWN - einem Wettkampf zwischen studentischen Comedy-Gruppen. Derartige Mannschaften - "Kommandos" - gibt es an jeder Fakultät. Dementsprechend gibt es kleine Wettbewerbe zwischen einzelnen Fakultäten, den großen "Konkurs" der Universität - da waren wir -, Stadtmeisterschaften und landesweite Entscheidungen. Neben einem ziemlich professionellen Kurzprogramm müssen diverse spontane Übungen geboten werden, beispielsweise muss ein fünfminütiger Film synchronisiert werden. Eine Jury vergibt Punkte, der ganze Saal ist voll von den Fans der Kommandos, am ende fließen auf der Bühne bei den Siegern sogar Tränen. 

Die Gags sind professionell gemacht, flott mit schnell geschnittener Musik untermalt. Da werden Deutsche und Rammstein veralbert, aber genauso die heimische Pop-Szene. Ein Sommerhit hieß beispielsweise "Putin". Ein Mädel springt also auf der KWN-Bühne rum und singt den Text: "Ich will einen Mann wie Putin, der so schlau ist, so klug, so weise, so intelligent, ..." Die Musik stoppt spontan, ein Student kommt mit verächtlichem Blick auf die Bühne und sagt im Putin-Tonfall: "Ludmilla, du hast mich doch schon! Hör auf zu singen und koche mir lieber was zu Essen!" (Ludmilla Putin = Ehefrau von Wladimir P.) 

Direkt nach dem KWN-Abend sind wir dann zum zweiten mal nach Petersburg gefahren - um die Stadt bei wunderbarem blauen Himmel, Sonnenschein und minus 17 Grad zu genießen! Mag grauenvoll klingen - aber nach drei Wochen Matschwetter um die null Grad war das echt ein Genuss! 

Es gab viel zu sehen, das zu 90 Prozent fertige Bernsteinzimmer im Katherinenpalast, die fast zugefrorene Newa oder die vielen goldenen Kirchkuppeln im ständig tiefstehenden Sonnenschein - Petersburg liegt ja auf die gleichen Höhe wie Grönlands Südspitze. Sowohl architektonisch als auch zwischenmenschlich ist Petersburg wesentlich westlicher als Moskau - manchmal sehr angenehm. In jedem Laden kann man beispielsweise ein paar worte Englisch sprechen - in Moskau ein Glücksfall. 

Aber dennoch, schnell wird man wieder von der russischen Realität eingeholt. Wir wollten in der Ermitage eine Führung machen. Dafür gibt es ein spezielles Exkursionsbüro. Dort fragt man nach und bekommt daraufhin einen kleinen Zettel. Mit diesem rennt man zur Kasse Nummer fünf, dort zahlt man 100 Rubel (drei Euro) pro Nase und bekommt für Jeden einen neuen Zettel. Diese zeigt man wiederum im Exkursionsbüro. Dort werden nun die Namen der Interessenten auf einer Liste vermerkt. Die Zettel werden um einige Notizen ergänzt. Nun muss man sich zum Eingang bewegen. Dort werden die Namen auf eine weitere Liste eingetragen, der Zettel wird eingerissen. Nach 30 Minuten darf man wieder erscheinen, dann steht die Führerin bereit. (Was wir dann für zusammen sechs Euro geboten bekamen war übrigens absoluter Wahnsinn. In zwei Stunden zeigte uns die Führerin mit unheimlicher Fachkenntnis immerhin 65 der über 400 Zimmer der zweitgrössten Kunstsammlung der Welt.) 

Zum ersten Mal gab es übrigens Probleme mit der russischen Mentalität. Ich möchte ja bekanntlich bis zum Sommer verlängern - bei meinen Vorgängern war das nie ein Problem. Ich soll nun plötzlich 800 Euro zahlen, zuzüglich Wohnheim. Es folgten Diskussionen und Mails ans Dresdner Auslandsamt - mehr oder weniger argumentierte ich so: Ich habe auch nie etwas gesagt, dass ich kein Einzelzimmer bekommen habe, dass die Küche ewig nicht ging oder dass der Sprachunterricht zeitweise mies ist. Plötzlich tauchten in Dresden und Moskau Märchen über mich auf, keiner redete mehr mit mir und so weiter und so fort. Also habe ich nachgefragt, was los ist. Fazit: Norbert Schott schreibt nur Schlechtes über Moskau in der Dresdner Studentenzeitung. 

Ich hatte dort zum Beispiel berichtet, dass man in vier Wochen acht Ausweise bekommt - das hat die russische Seele tief verletzt. Ich habe ersteinmal angefangen, Ironie und satirischen Schreibstil zu erklären - und nun muss ich hoffen, dass man mir es glaubt. Soviel zu interkulturellen Kommunikationsschwierigkeiten! 

Was nun wird, bleibt weiter etwas in der Schwebe. Ich weiß nur eines - ich will hierbleiben! Erst recht, nachdem vergangene Woche die Waschbecken eingetroffen sind und wir nun endlich wieder eine Küche haben! (Ich mache übrigens Fotos vom Verfall der blitzeblanken weissen Kücheneinrichtung. Die Herde sind schon nach sechs Tagen braun.) 

P.S.: Worte der Woche: rentirowatch - mieten. Gastrolliwatch - eine Gastrolle geben.